Wanderung im Wildnisgebiet Dürrenstein
Hilfe, ich bin im Urwald!
Stell dir vor, du gehst im Urwald spazieren und hinter dir knackst es im Gebälk. Oh, das Kleinhirn meldet sofort Alarm, der Angstschweiß steht dir auf der Stirn und du malst dir schon aus, wie dein Leben seinen Höhepunkt als Festschmaus eines Raubtieres findet. Die Frage ist nur mehr, welches?
Unser Guide lacht nur, "der Ötscherbär ist menschenscheu und leider schon ausgestorben!" Gut, dass er ein Buschmesser von der Größe eines Oberschenkels mit hat, vielleicht hat sich der Bär das mit dem Aussterben ja noch anders überlegt.
Und schon fühle ich mich gedanklich an unseren Amazonas-Trip vor ein paar Jahren zurückversetzt, als wir anlässlich einer Hochzeit im Regenwald gelandet sind. Als uns der Schamane erklärt hat wie herrlich giftig diese Viecher nicht alle sind und welch wunderbaren Heilmittel man daraus herstellen kann. Naja, solange sie einen halt nicht beißen! Die Tarantel, die uns beim Frühstück über die Schultern geschaut hat, hat auch nur bedingt zur Entspannung beigetragen. Nicht zu vergessen Charly, die größte Ratte der Welt, wie sie mir, einmal in der Hängematte liegend, auf den Schoss wollte um meine Nüsse zu knacken.
Der Ranger führte uns durchs Wildnisgebiet Dürrenstein
Der Urwald des Mostviertels
Ganz anders im Urwald des Mostviertels. Rund um den Dürrenstein breitet sich der größte, vom Menschen unberührte Wald des Alpenraumes aus, ca. 460 ha. Zu verdanken haben wir das Albert Rothschild, der den Wald 1875 aus der Konkursmasse der "Forstindustrie AG" herausgekauft hat und sich sofort in diesen Wald verliebt und somit vom forstwirtschaftlichen Zugriff bewahrt hat. Im Rahmen der Führung "Wälder, die Geschichten erzählen" durften wir ihn nun erleben.
Vom Treffpunkt Langau bei Lackenhof fahren wir tief, ganz tief, in den Wald auf ca. 1.000 m Seehöhe. Spätestens nach der vierten Abzweigung verlieren wir völlig die Orientierung. Das Fehlen jeglicher Zivilisation samt Handysignal versetzt uns in eine andere Welt. Ob wir da jemals wieder herausfinden?
Unterwegs im Urwald des Mostviertels
"Wälder, die Geschichten erzählen"
Kaum ausgestiegen, ist der Ranger sofort in seinem Element. Er zeigt uns nicht nur warum der Wald so ausschaut, sondern lehrt uns auch seine biologischen Grundlagen. Wir sehen, dass Bäume sich von Natur aus gerne an erhabenen Stellen gruppieren, egal ob das ein Stein oder ein toter Baum ist, um befreit vom Schnee die Sonne am längsten genießen zu können. Wir lernen, dass der Lebenszyklus einer Fichte 1000 Jahre beträgt, davon 700 Jahre lebend, 100 Jahre tot herumstehend um dann in 200-250 Jahren verwesend die Lebensgrundlage für neue Bäume zu bilden. Ja, das Wildnisgebiet ist ein mächtiger Fichten-Tannen-Buchen-Bergwald. Na klar, die Wanderung ist kein touristisches Vergnügen, sondern eine Exkursion. Die Guides nehmen ihren Bildungsauftrag sehr ernst.
Nach einer kleinen Mittagspause gelangen wir zu einer großen Waldlichtung, wo vor 10 Jahren das letzte Mal die Bärin Mira samt ihren Jungen gesehen wurde. Die einzigen Tiere, die wir an diesem Tag zu Gesicht bekommen, sind zwei Hirsche in ca. einem Kilometer Entfernung. Durch das Fehlen der großen Predatoren müssen sie gejagt werden. Es gäbe noch den Luchs, der schnurrt aber wie ein Kätzchen und ist eher in der Innenstadt von Waidhofen anzutreffen (falls er wieder einmal vom Buchenberg ausbüchst) als in freier Wildbahn.
Wälder, die Geschichten erzählen
UNESCO Weltnaturerbe
Das Wildnisgebiet Dürrenstein, 2017 von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärt, ist mittlerweile viel größer, an die 3.500 ha und besteht neben dem Urwald Rothwald größtenteils aus naturnahen Wäldern "erste Generation nach dem Urwald". Was ist das überhaupt? Der Wald wurde vom Menschen einmal vor ca. 250 Jahren großflächig geschlagen und ist seitdem unberührt. Wird das jemals ein Urwald? "Optisch wird man am Baumbestand nach sehr vielen Jahren vielleicht keinen Unterschied mehr sehen, im Boden sehr wohl!" erklärt uns Reinhard. Das heißt, erst die nächste Eiszeit(!) wird die Grundlage für das neuerliche Entstehen eines Urwaldes bilden. Das kann einen schon sehr demütig machen! Nicht umsonst weist unser Guide darauf hin, dass die Natur den Menschen nicht braucht, der Mensch die Natur zum Überleben aber sehr wohl!
Nach etwa 6 Stunden kehren wir in die Langau zurück, schwer beeindruckt von dieser unberührten Natur mitten im Mostviertel. Von der Schutzverwaltung werden verschiedene Wanderungen unter Führung eines Rangers angeboten. Man muss sich allerdings sputen, sie sind sehr schnell ausgebucht.
Fotocredits:
Theo Kust
Das Schloss an der Eisenstrasse